Typisch Frau? Ein Erklärungsansatz für die Unterrepräsentanz von weiblichen Führungskräften

Über halb volle und halb leere Gläser und wie wir deren Inhalt bunter machen können. Ein Beitrag über Stereotype und wie sie das Ausschöpfen unternehmerischer Potenziale verhindern.

Die gute Nachricht zuerst. Für alle, die es noch nicht wissen: Diversität* bereichert Unternehmen messbar. Die Publikationen und Forschungen dazu häufen sich in den letzten Jahren. Eine Studie der International Labour Organization, die mehr als 12.000 Unternehmen in über 70 Ländern befragt hat, kam beispielsweise zum Ergebnis, dass Geschlechtervielfalt im Management unter anderem positive Auswirkungen auf die Gewinnsituation von Unternehmen hat. So verzeichnen 74% der Unternehmen, die die Auswirkungen ihrer Diversitätsbemühungen messen, eine Gewinnsteigerung von 5-20% (vgl. International Labour Organization 2019: S. 22). Befindet sich ein Unternehmen im obersten Quartil hinsichtlich seiner diversen Managementbesetzung steigt die Wahrscheinlichkeit, Wettbewerbsunternehmen finanziell zu übertreffen um 25%. Hinzu kommt u.a. eine Reduktion der Fehleranfälligkeit je diverser ein Team aufgestellt ist und die positive Reputationswirkung, die von solchen Unternehmen ausgeht (vgl. Rotbahrt 2020). Es scheint, als kämen diese wissenschaftlichen Erkenntnisse nun mehr und mehr bei den deutschen Unternehmen an oder zumindest entfalten gesetzliche Regulierungen ihre Wirkung (vgl. Beyond Gender Agenda 2021: S. 8). Der Frauenanteil in Vorstandspositionen in deutschen DAX Unternehmen verzeichnet den bislang größten Zuwachs. Im Vergleich zum Vorjahr haben 20 Unternehmen erstmals eine Frau in den Vorstand berufen, die absolute Zahl der Vorständinnen stieg um 25. Airbus, Allianz, Daimler und die Deutsche Telekom machen es vor (oder ziehen nach) und haben damit zumindest Signalwirkung.

Aber das Glas ist gleichzeitig immer noch halb leer. Wir haben es nach wie vor mit dem „Deutschen Diversitäts Dillema“ (Beyond Gender Agenda 2021: S. 3) zutun. 26 Jahre würde es mit dem durchschnittlichen Tempo der letzten fünf Jahre dauern, einen Anteil von 50% in den Vorständen der Börsenunternehmen zu erreichen oder plakativer: mehr Männer mit dem Namen Christian haben die Position des Vorstandsvorsitzenden inne, als es Frauen in dieser gibt (vgl. AllBright 2021: S. 6f.). Es wird also noch viel Potential nicht genutzt.

Das bringt uns zu der Frage: warum ist das so? Die Forschung unterscheidet dabei zwischen fünf Ansätzen, um die Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen zu erklären. Neben dem ökonomischen, psychologischen, soziologischen und feministischen Ansatz gibt es den, der sich der impliziten Führungstheorie und der Rollen-Inkongruenz-Theorie bedient. Demnach ist Diversität deshalb noch nicht derart ausgeprägt vorhanden, weil sich nach wie vor klassisches Stereotypen-Denken in das Handeln vieler einschleicht. ‚Think-Manager-Think-Male‘ bleibt die Devise (vgl. Büttgen und Mai 2016). Die Stereotypenforschung zeigt dies deutlich auf. Eigenschaften, die man typischerweise idealen Manager:innen zuschreibt, wie u.a. Führungswilligkeit, Dominanz und Entscheidungsfreudigkeit decken sich mit den Eigenschaften, die man typischerweise auch Männern zuordnet. Im Gegensatz dazu, assoziiert man Emotionalität, Passivität oder Fürsorglichkeit mit Frauen (vgl. Rosenstiel und Nerdinger 2011: S. 193).

Die Rollen-Inkongruenz-Theorie beschreibt aufbauend Wirkungsmechanismen, die erklären, warum Frauen bei der Rekrutierung von Führungskräften häufig nicht die Person der Wahl sind. Es kommt demnach zum sogenannten Backlash-Effekt. Entsprechen Frauen dem typischen weiblichen Rollenbild, werden ihnen führungsrelevante Eigenschaften abgesprochen. Verhalten sie sich jedoch so, wie sich der Gegenüber eine typische Führungskraft vorstellt, verkörpern sie also agentische bzw. männliche Eigenschaften, wirken sie maskulin und erfüllen nicht die Rolle, die man ihnen zuschreibt. Die Forschung zeigt, dass eben diese Inkongruenz dazu führt, dass sie als unauthentisch und unsympathisch wahrgenommen werden (vgl. Eagly und Karau 2002).

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Es ist offensichtlich nicht notwendig anzumerken, dass dies für eine Einstellung nicht unbedingt förderlich ist. Egal, wie Frau es macht, es ist scheinbar falsch.

Das eigentliche Dilemma ist jedoch, dass die Nachteile, die für Frauen aus Stereotypen erwachsen, wissenschaftlich nicht einmal haltbar sind. Eine Forschung, die sich mit den Persönlichkeitsmerkmalen (gemessen an den Ausprägungen der Dimensionen der Big-Five und dunklen Triade) von Führungskräften beschäftig, kommt zum Ergebnis, dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen diesen von Männern und Frauen gibt. Wir sind also alle doch gar nicht so verschieden, wie gedacht (vgl. Büttgen und Mai 2016).

Und nun? Achtsamkeit ist gefragt und das Ausbrechen aus Denkmustern, die voller Vorurteile sind. Das versuchen wir bei Vindelici. Denn die Frage ist berechtigt: sind wir besser? Wenn man ausschließlich auf unsere ‚Quote‘ schaut, nicht. Wir haben bis dato keine einzige weibliche Person im Vorstand und auch unsere restliche Führungsriege ist männlich dominiert. Doch auch, wenn das die Realität widerspiegelt, wollen wir in die Zukunft schauen und uns damit nicht zufriedengeben. Wir können leider nicht alles auf einen Schlag ändern, aber was wir tun können ist, aktiv an unseren Rollenbildern im Unternehmen zu arbeiten und divers zu denken und handeln. Von gendergerechter Sprache bis hin zur Einführung von diversitätsorientierten Kennzahlen setzen wir um, was in unserer Hand liegt. Gespannt und vorfreudig warten wir auf – und suchen aktiv – unsere Christinas.

*Diversität beinhaltet grundsätzlich die Dimensionen Gender, LGBT+ und Disability. Der Beitrag konzentriert sich aufgrund des behandelten Forschungsschwerpunkts im Wesentlichen auf die Dimension Gender.

AllBright (2021): AUFBRUCH ODER ALIBI? Viele Börsenvorstände erstmals mit einer Frau. URL https://static1.squarespace.com/static/5c7e8528f4755a0bedc3f8f1/t/617ab5a77069070631d64edf/1635431858323/AllBright+Bericht+Herbst+2021_Aufbruch+oder+Alibi_.pdf.

Beyond Gender Agenda (2021): DAS DEUTSCHE DIVERSITÄTSDILEMMA. URL https://beyondgenderagenda.com/wp-content/uploads/2021/09/German-Diversity-Monitor-2021-Das-deutsche-Diversitaets-Dilemma.pdf.

Büttgen und Mai (2016): Starke dunkle Triade. In: Forschung & Lehre. Ausgabe 4/16. URL https://www.forschung-und-lehre.de/karriere/starke-dunkle-triade-170/.

Eagly, A. H. und Karau, S. J. (2002): Role congruity theory of prejudice toward female leaders. In: Psychological Review, Vol. 109, S. 573–598.

International Labour Organization (2019): Women in business and management: the business case for change. URL https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/—dgreports/—dcomm/—publ/documents/publication/wcms_700953.pdf.

Rosenstiel, L. und Nerdinger, F. (2011): Grundlagen der Organisationspsychologie. Stuttgart, Schäffer-Poeschel.

Rothbart, K. (2020): Mangelnde Diversität in Deutschlands Vorständen. In: Börsen Zeitung. URL https://www.boersen-zeitung.de/personen/mangelnde-diversitaet-in-deutschlands-vorstaenden-de4d6cf2-68cd-11ec-b124-75e585f93ac9.

Chiara Wacker
Chiara Wacker
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