Unternehmensstrategie und -planung mit dem Strategy Circle

In der Unternehmensführung sowie im Beraterjargon werden Worte wie „Vision“, „Strategie“, „Plan“ oder „Prognose“ so häufig verwendet, dass man sich leicht einen Spaß daraus machen kann, mit ihnen Bullshit-Bingo zu spielen. Mit der Ausrichtung auf langfristige Unternehmensziele oder sich schnell ändernde externe Einflüsse tun sich Manager:innen jedoch häufig schwer. Mein Team und ich haben eine Methodik entwickelt, die Unternehmensleiter:innen und Entscheidungsträger:innen auf allen Ebenen hilft, konsistente Pläne zu entwickeln und zielführende Entscheidungen zu treffen: den Strategy Circle.

Die Methodik beschreibt einen fortlaufenden, geschlossenen Kreislauf, der an jedem beliebigen Punkt begonnen werden kann – zur Erläuterung beginnen wir jedoch mit der „Vision“. Eine Vision ist eine singuläre Aussage über die Welt, die meist einen zukünftigen Zustand beschreibt. Ein prominentes Beispiel für eine solche Vision ist Elon Musks “Humanity will be a solar-powered interstellar race”, oder ein etwas weniger provokantes Beispiel von Volkswagen „Die globale Mobilität wird durch vernetzte, elektrische und autonome Fahrzeuge gewährleistet werden“. Die Rolle, die das Unternehmen beim Erreichen dieses zukünftigen Zustands einnehmen wird, ist die „Mission“: “Tesla will build electric vehicles, solar tiles, power storage and rockets” oder „Volkswagen wird ein führender Anbieter von Fahrzeugen, Dienstleistungen und Netzwerken sein“. Bei kleineren Unternehmen oder Privatunternehmern können Vision und Mission eine persönlichere Ausprägung annehmen, wie z. B. „Jede Generation erbt und entwickelt das Vermögen der Familie. Meine Generation wird ein starkes und gesundes Unternehmen an die nächste Generation weitergeben“.

Während Mission und Vision jeweils singuläre Aussagen sind, die von äußeren Umständen unabhängig sind, verändert sich die Welt um uns herum, unser Wissen erweitert sich, und unsere Prioritäten ändern sich. Die Projektion möglicher Entwicklungspfade gelingt mithilfe der Szenariotechnik. Bei der Entwicklung von Szenarien sollten Interdependenzen und Zwischenzustände über mehrere Zeitintervalle hinweg berücksichtigt werden: Ein gutes Szenario ist sowohl konsistent als auch kontinuierlich. Im Gegensatz zu üblichen Best-, Worst- und Base-Case-Variationen ist der Raum „zwischen“ Szenariopfaden kein sicherer Bereich, sondern beschreibt inkonsistente und damit logisch unmögliche Zukunftsentwicklungen. Sowohl technische Werkzeuge als auch ein straffes Prozessmanagement können helfen, eine hohe Anzahl von Szenariopfaden zu bewältigen.

Der nächste Schritt nach der Erstellung von Szenarien ist ein vollständiges Verständnis des Geschäftsmodells und der Struktur des Unternehmens: Werkzeuge wie Business Canvas, Sensitivitätsanalyse oder Signifikanzbewertung helfen dabei, dieses Verständnis zu entwickeln. Die wichtigsten internen Faktoren werden dann den externen Szenarien gegenübergestellt, um die Szenarien mit den größten Auswirkungen zu ermitteln – diese Szenarien werden im nächsten Schritt, dem Kernstück der „Strategieentwicklung“, priorisiert.

Die logische Form einer Strategie ist die einer Regel mit der strengen Syntax „wenn – dann“. Im Fall von Tesla würden einige der erkennbaren Strategien so klingen: „Um das Wachstum des Unternehmens zu unterstützen, werden wir sowohl die Zahl der Produkte als auch die Zahl der Fabriken erhöhen“; „Wenn die vorhandenen Technologien unseren Anforderungen nicht genügen, werden wir nach Alternativen in benachbarten Branchen suchen“ – und so weiter. Es gibt mindestens so viele Strategien, wie es geschäftliche Treiber gibt. Dies zeigt auch, dass unerwartete externe Einflussfaktoren – d.h. solche, die im Szenarioraum nicht vorhergesehen wurden – eher neue Strategien als eine sofortige Änderung der Pläne erfordern.

Erst nachdem die Strategien formuliert wurden, können die Ziele definiert werden. Unternehmensziele sollten spezifisch und operativ sein und eine zeitliche Dimension enthalten – eine Zielsetzung im Sinne von „so viel wie möglich so schnell wie möglich“ ist nicht praktikabel, obwohl sie in der Praxis immer noch häufig anzutreffen ist. Die SMART-Methode kann ein guter Ansatzpunkt sein, die Ziele entsprechend zu formulieren. Erst in diesem Schritt finden quantitative Elemente Eingang in den Strategy Circle. Ein Element der Zielfestlegung sind die Kapazitätsbeschränkungen, Fähigkeiten und Ressourcen des Unternehmens; allerdings sollten die Ziele in dieser Phase unter der Annahme festgelegt werden, dass jedes einzelne Ziel mit vollem Engagement verfolgt wird und alle Ressourcen zur Verfügung stehen. Der Prozess der Zielfestlegung ist keineswegs einfach oder willkürlich, da er ein gründliches Verständnis der Fähigkeiten und des Anspruchsniveaus des Unternehmens erfordert. Im Beispiel der Wachstumsstrategie von Tesla könnte ein mögliches Ziel lauten: „Wir werden jedes Jahr entweder 1 neues Produkt auf den Markt bringen oder 1 neue Fabrik mit voller Kapazität eröffnen“.

Sobald alle Strategien mit entsprechenden Zielen unter Berücksichtigung der vorhandenen Kapazitäten quantifiziert wurden, folgt der komplizierteste Schritt: die Konsolidierung zu einem Plan. Während es viele Szenarien, Strategien und Ziele gibt, kann es nur einen Plan geben, der eine einzige Vorgehensweise für eine bestimmte Zeitspanne bestimmt. In Zeiten großer Ungewissheit können Pläne nur für einen kurzen Zeitraum erstellt werden, die dann von mehreren Planungsrunden gefolgt werden. Dies ist auch die einzige Stelle im gesamten Strategy Circle, an den externen Prognosen zum Tragen kommen: Eine Prognose ist die konsistente Summe aller bekannten Informationen über eine zukünftige Entwicklung wie z.B. von Fahrzeugverkäufen, dem Preis von Kupfer oder einem Zinssatz. Die Qualität einer Prognose kann nur daran gemessen werden, wie viele Informationen sie berücksichtigt und wie konsequent sie dabei vorgeht. Daher sind Prognosen, die durch „Black-Box“-Algorithmen wie Data Mining oder KI (Künstliche Intelligenz) erstellt werden, ebenso gut wie qualitative Modelle, die von Wirtschaftsexperten erläutert werden. Prognosen sind wichtige Instrumente, um insbesondere kurzfristige Prioritäten zu setzen.

Erst wenn der Unternehmensplan feststeht, kann er in einem nächsten Schritt auf seine Übereinstimmung mit der Unternehmensvision und -mission überprüft und endgültig freigegeben werden. Ein Plan, der nicht dazu beiträgt, das Unternehmen (oder die Welt um das Unternehmen herum) der erklärten Vision näher zu bringen, ist kein „guter“ Plan im Sinne von Konsistenz und Überzeugung, geschweige denn Motivation und Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Umsetzung. Wenn die Übereinstimmung mit der Unternehmensvision und -mission gegeben ist, ist es für die Unternehmensleitung oder die Eigentümer:innen viel leichter, das gesamte Team dazu zu bewegen, diesen vollständig zu übernehmen. Erst dann ist es an der Zeit, den Plan in die Tat umzusetzen und somit der eigentlichen Zielsetzung des Strategieprozesses nachzukommen.

Ein komplett implementierter Strategy Circle macht Unternehmen agiler, erfolgreicher, glaubwürdiger und gibt ihren Mitarbeiter:innen mehr Grund, das wertvollste Gut zu investieren, das sie besitzen: ihre eigene Lebenszeit.

Unternehmensstrategie
Christoph_Stuermer
Christoph Stuermer
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